Die Solitude GmbH fühlt sich der Tradition verpflichtet. Geschäftsführer Tobias Aichele taucht als Journalist manchmal so tief und intensiv in Themenbereiche ein, dass sich unglaubliche Türen öffnen. Ein Beispiel.
In Rosenheim ist jener unglaubliche Ort, der sofort an ein Märchen erinnert. Wir haben einen in den siebziger Jahren sehr berühmten Rennstall aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Und auch wie das Märchen, hat diese Story einen geschichtlichen Hintergrund. Von 1971 an baute die Firma KMW (K steht für den McNamara-Konstrukteur Karasek, M steht für den Motorenmann und Fahrer Müller-Perschl und W für den Karosseriebauer Weiß) Rennwagen in Rosenheim; und zwar sogenannte Sportprototypen für die Teilnahme an den Interserie-Rennen, dem europäischen Pendant zu der nordamerikanischen CanAm-Serie. Von dem modernen Monocoque-Chassis war Helmuth Bott, damals Chef des Porsche-Entwicklungszentrums in Weissach, so begeistert, dass sich die kleine Rennwagenschmiede KMW-Porsche nennen durfte. Der nur 470 Kilogramm schwere Sportprototyp wurde befeuert von einem Sechszylinder-Triebwerk mit vier Nockenwellen. Diesen Motor konstruierte Valentin Schäffer von 1967 an im Auftrag von Helmuth Bott, um das Leistungspotential des 917-Triebwerks aufzuzeigen. Der Viernockenwellen-Boxer war nämlich exakt halb so groß wie der spätere 4,5 Liter-Zwölfzylinder für den 917. Nach einer kurzen Versuchsphase bekam KMW diese Motoren – und entwickelte diese zu potenten Renntriebwerken, später sogar mit Turboaufladung. Sowohl der blaue KMW-Renntransporter, der KMW-Turbo Sportprototyp mit der Bezeichnung SP 31, als auch die ganzen Motoren galten über Jahrzehnte als verschollen.Valentin Schäffer hatte auch nach seiner aktiven Zeit bei Porsche regelmäßig Kontakt zu Hans Müller-Perschl, bis dieser am 11. Juli 2019 im Alter von 78 Jahren verstarb. Schäffers Notitzbuch gab also über die zahlreiche Telefonnummern des Rennwagenbauers Aufschluss.Doch keine der Nummern funktionierte mehr und auch Post blieb unbeantwortet. Selbst die zahlreichen Schwenks von der Autobahn München-Salzburg in den Ort Rosenheimer gaben keinen Aufschluss. Man sah nur ein vollkommen zugewachsenes Areal und es stellte sich die Frage: War noch etwas im Untergeschoss der Villa, wo zuletzt an den Rennfahrzeugen gearbeitet wurde, vorhanden? Die Frage blieb sehr lange unbeantwortet, zumal Müller-Perschel noch zu Lebzeiten aus Misstrauen über Jahrzehnte keine Besucher mehr in sein Motorsport-Areal ließ.Als Sportprototypen-Fan und Journalist hat sich Tobias Aichele schon seit vielen Jahren mit dem aus McNamara Racing hervorgegangenen Rennstall befasst, letztmalig im Jahr 2021 zum 90. Geburtstag von Valentin Schäffer, mit einer 14-seitigen Story in „Porsche Klassik“, zu der ein Fototermin mit Valentin, einem 911 R mit einem reproduzierten 916-Triebwerk sowie einem KMW SP 20 gehörte. Diese Geschichte fand über das Porsche-Presseportal „Newsroom“ eine internationale Verbreitung. Und diesem Beitrag hat es Aichele letztendlich zu verdanken, dass er Prinz sein durfte.
Im Zeitraffer: „Ich kam mit Müller-Perschls unehelichen Sohn zusammen und wir verabredeten uns zu einer ersten ausführlichen Bestsandsaufnahme. Mein Herz fing an schneller zu schlagen, als wir uns nur mit dem Handylicht und über eine schmale Steintreppe in die Finsternis und Kühle der Kellerebene vortasteten. Alles stand völlig zugestellt, ein großes Durcheinander. Eines war sicher: Hier passierte schon sehr sehr lange nichts mehr. Altölkanister, Altreifen, Motoren, Teile und Planen hinderten daran, sich einen Überblick zu schaffen. Wir mussten graben. Die Luft war öldurchdrängt. Und dann stockte mir der Atem: Ein Viernockenwellen-Triebwerk auf dem Motorständer, wie in den Erzählungen von Valentin Schäffer. Noch weiter hinten, als wir über Anhäufungen von Teilen gestiegen waren, eine von Planen abgedeckte größere Fläche. Wir trauten unseren Augen nicht, aber das schnell ausgemachte Typenschild gab Aufschluss: Der KMW SP 31, der einzige Viernockenwellen-Sportprototyp mit Turboaufladung. Und nun standen wir vor dem Monocoque-Chassis. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich realisierte: Ich durfte gerade Prinz sein und die Überbleibsel des in den siebziger Jahren sehr berühmten Rennstalls wach küssen. Dass es keinesfalls die Überbleibsel waren, sondern das komplette Vermächtnis, wurde uns erst später klar.“